Die Verrechnungssteuer schmälert die Attraktivität des Schweizer Kapitalmarkts. Ende Juni und Ende September 2019 hat der Bundesrat die Eckwerte für die geplante Reform der Verrechnungssteuer und der Stempelabgaben publiziert. Die Reform kann den Kapitalmarkt stärken.
Sie ist in den vergangenen Jahren der wichtigste Grund gewesen, dass der Bundeshaushalt viel besser abgeschlossen hat als budgetiert: die Verrechnungssteuer. Das ist diejenige Steuer in der Höhe von 35%, die auf Zinsen, Dividenden, Gewinnen aus Geldspielen und gewissen Versicherungsleistungen abgezogen wird, damit die Steuerpflichtigen diese Erträge in der Steuererklärung auch korrekt deklarieren. Denn nur dann erhalten sie die Verrechnungssteuer zurückbezahlt.
Zweimal hat der Bundesrat bereits einen Versuch unternommen, diese Verrechnungssteuer zu reformieren. Zweimal ist er damit aufgelaufen. Nun folgt der dritte Streich. Und diesmal backt der Bundesrat deutlich kleinere Brötchen. Von der Verrechnungssteuer befreit werden sollen nur noch Unternehmen in der Schweiz und Anleger aus dem Ausland. Natürliche Personen im Inland hingegen sollen die Verrechnungssteuer weiterhin bezahlen müssen. Sogar im grösseren Umfang als bisher, denn neu soll die Steuer auch auf Erträgen aus ausländischen Zinsanlagen erhoben werden, die heute noch nicht der Verrechnungssteuer unterliegen.
Der Bundesrat schätzt, dass der Verzicht auf die Verrechnungssteuer bei Schweizer Firmen und ausländischen Anlegern zu Mindereinnahmen von 200 Millionen Franken für die Staatskassen führen wird. Unter dem Strich aber rechnet die Landesregierung mit Mehreinnahmen für Bund, Kantone und Gemeinden: zum einen, weil – wie erwähnt – ausländische Zinsanlagen im Portfolio von Schweizern neu verrechnungssteuerpflichtig werden, zum anderen vor allem auch, weil es für Schweizer Firmen neu attraktiv würde, Anleihen in der Schweiz auszugeben. Heute weichen viele Unternehmen damit ins Ausland aus, weil dort keine Verrechnungssteuer anfällt.
Vor allem aus finanzpolitischen Überlegungen möchte der Bundesrat aber nicht die gesamte Verrechnungssteuer reformieren. Er schlägt eine Reform zur Belebung des Fremdkapitals vor. Dies betrifft die Verrechnungssteuer auf Zinsen, wo ein Systemwechsel vorgenommen wird, um ausländische Anleger und inländische juristische Personen von der Verrechnungssteuer zu entlasten. Damit wird eine wesentliche Bremse für die Emission von Schweizer Fremdkapital gelöst, und der stark unterentwickelte Schweizer Obligationenmarkt kann endlich belebt werden. Auch die Stempelabgaben auf dem Handel mit Schweizer Obligationen möchte der Bundesrat nach Möglichkeit abschaffen.
Laut Bundesrat besteht die Verrechnungssteuerreform aus zwei Kernelementen. Zum einen dient sie der Stärkung des Schweizer Anleihenmarkts, indem sie inländische juristische Personen und ausländische Anleger von der Verrechnungssteuer in Schweizer Zinsanlagen befreit. Zum andern soll der Sicherungszweck für natürliche Personen im Inland ausgedehnt und so die Steuerhinterziehung bekämpft werden. Die Umsetzung dieser Kernelemente dürfte zu neuen Aufgaben bei Banken und Verwaltung führen.
Am 27. September 2019 hat der Bundesrat weitere Eckwerte der Verrechnungssteuerreform verabschiedet und die am 26. Juni 2019 bekanntgegebenen Kernelemente ergänzt:
• Erhebung der Verrechnungssteuer auch bei indirekten Zinsanlagen, und zwar für in- und ausländische kollektive Kapitalanlagen, unabhängig davon, ob sie ihre Erträge ausschütten oder wieder anlegen
• Beibehaltung der geltenden Freigrenzen für Bankzinsen
• Anpassung des Beteiligungsabzugs (Details würden in der Vernehmlassungsvorlage dargelegt)
• Aufhebung der Umsatzabgabe auf inländischen Anleihen
• Stärkung des Schweizer Fremdkapitalmarkts
• Befreiung der inländischen juristischen Personen und der ausländischen Anleger von der Verrechnungssteuer in Schweizer Zinsanlagen
• Sicherung der Steuereinnahmen durch Erhebung der Verrechnungssteuer auf sämtlichen Zinsanlagen (neu auch auf ausländischen) bei inländischen natürlichen Personen
Der Bundesrat geht davon aus, dass der Reformvorschlag einerseits zu geschätzten Mindereinnahmen von CHF 250 Mio. pro Jahr und andererseits zu Dynamikeffekten aus der Stärkung des Wirtschaftsstandorts und des Sicherungszwecks führen wird. Insgesamt entstehe langfristig ein positives Kosten-/Nutzen-Verhältnis. Die Vernehmlassung soll im ersten Quartal 2020 eröffnet werden.
Bis heute erhebt der Bund Stempelabgaben. Werden z. B. Aktien neu geschaffen und ausgegeben, wird die sogenannte Emissionsabgabe erhoben, diese beträgt 1 %. Werden Wertschriften, beispielsweise diese Aktien, nun gekauft oder verkauft, muss jedes Mal die Umsatzabgabe bezahlt werden, diese beträgt 0.15 oder 0.3 %. Wenn diese Wertschriften dann Zinsen oder Dividenden abwerfen, fällt darauf jedes Mal die Verrechnungssteuer von 35 % an.
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