Nachdem am 19. Juni 2020 die Vorlage zur Revision des neuen Aktienrechts im National- und im Ständerat angenommen wurde und am 8. Oktober 2020 die Referendumsfrist unbenützt abgelaufen ist, stand fest, dass der Modernisierung und der Anpassung an die wirtschaftlichen Bedürfnisse nichts mehr im Wege steht. Die beschlossenen Gesetzesänderungen wurden bisher sehr positiv aufgenommen, da sie doch einige Vereinfachungen und Flexibilisierungen mit sich bringen werden. Nachdem wir bereits in der letzten Follow-up-Ausgabe die Änderungen tabellarisch aufgezeigt haben, möchten wir in diesem Jahr einzelne Gesetzesanpassungen detaillierter beleuchten.
Unübertragbare Befugnisse der Generalversammlung
Für alle Gesellschaften wurden der Generalversammlung neu folgende unübertragbare Befugnisse zugewiesen:
a) Festsetzung der Zwischendividende (vgl. Art. 675a nOR) und die Genehmigung des dafür erforderlichen Zwischenabschlusses (Art. 698 Abs. 2 Ziff. 5 nOR)
b) Beschlussfassung über die Rückzahlung der gesetzlichen Kapitalreserve (vgl. Art. 671 nOR; Art. 698 Abs. 2 Ziff. 6 nOR)
Senkung der Schwellenwerte für Einberufung, Traktandierung und Stellen von Anträgen
Die Rechte der Aktionäre bezüglich Einberufung, Traktandierung und Antragstellung werden ausgebaut. Dies umfasst nicht nur tiefere Schwellenwerte, sondern auch weitere Punkte. So ist der VR nach Eingang eines Einberufungsbegehrens verpflichtet, eine GV innert angemessener Frist, längstens aber innert 60 Tagen ab Gesuchseingang einzuberufen (Art. 699 Abs. 3 und 5 nOR). Aktionäre, die verlangt haben, dass ein Traktandum oder ein Antrag in die Einberufung aufgenommen wird, haben Anspruch auf Abdruck einer kurzen Begründung (Art. 699b Abs. 1–3 nOR). So können Aktionäre, welche die Traktandierungsschwelle überschreiten, bspw. auch Argumente für die Ablehnung eines Antrags in der Einberufung abdrucken lassen.
Zusätzliche Beschlüsse, welche dem qualifizierten Mehr unterstehen
Es kann durchaus auch als Stärkung der Aktionärsrechte angesehen werden, dass künftig zusätzliche Beschlüsse ein qualifiziertes Mehr (2/3 der vertretenen Stimmen und der Mehrheit der vertretenen Aktiennennwerte gemäss Art. 704 Abs. nOR) benötigen. Dabei handelt es sich unter anderem um folgende Beschlüsse:
Das Minimalkapital beträgt weiterhin CHF 100’000. Es darf aber neu auch in einer für die Geschäftstätigkeit wesentlichen Währung lauten (Art. 621 Abs. 2 nOR), womit sich auch die kapitalbezogenen Aspekte wie Dividenden, Reserven und Überschuldung nach der betreffenden Fremdwährung beurteilen. Die zulässigen Währungen werden in der HRegV geregelt werden. Gemäss dem aktuellen Entwurf sollen folgende Währungen zulässig sein: EUR, GBP, USD, JPY. Für den Wechsel der Währung ist ein Beschluss der Generalversammlung notwendig und der Wechsel ist jeweils nur auf den Beginn des Geschäftsjahres möglich (Art. 621 Abs. 3 nOR).
Der Nennwert einer Aktie kann in Zukunft unter CHF 0.01 liegen, muss aber über null Franken liegen.
Ein weiterer erwähnenswerter Punkt ist die neue Möglichkeit zur Schaffung eines Kapitalbandes, innerhalb dessen der Verwaltungsrat das Aktienkapital während fünf Jahren hinauf- und/oder herabsetzen kann. Die von der Generalversammlung genehmigte Erhöhung bzw. Herabsetzung kann bis 50% des Aktienkapitals betragen. Das Kapitalband ist wohl besonders im Zusammenhang mit Sanierungen interessant.
Ein weiterer Punkt, welcher mit dem neuen Aktienrecht vereinfacht wird, ist die Reservenzuweisung. Die früher notwendige separate Kalkulation von Grund- und Superdividende entfällt. Art. 672 Abs. 1 nOR sieht eine Zuweisung von 5% des Reingewinnes (nach Abzug allfälliger Verlustvorträge) vor. Die Pflicht zur Zuweisung entfällt, wenn das Total der gesetzlichen Gewinn- und Kapitalbildungsreserven zusammen mehr als 50% des einbezahlten Aktienkapitals ausmacht (20% bei Holdinggesellschaften). Die Einschränkungen bezüglich der gesetzlichen Gewinnreserven für eigene Aktien im Konzern und für Aufwertungen gelten auch hier (Art. 672 Abs. 3 nOR).
Bisher war die Ausschüttung einer Interimsdividende je nach Auslegung der Literatur meist als unzulässig oder verboten interpretiert worden. Diese ist neu explizit zulässig, sofern folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
a) Die Voraussetzungen zur Dividendenausschüttung sind erfüllt
b) Ein geprüfter Zwischenabschluss liegt vor. Bei einer Gesellschaft mit Opting-out (Verzicht auf Revisionsstelle) ist keine Prüfung des Zwischenabschlusses notwendig. Es kann auch auf eine Prüfung des Zwischenabschlusses verzichtet werden, wenn alle Aktionäre der Ausschüttung zustimmen und die Forderungen der Gläubiger dadurch nicht gefährdet werden.
Nach bisherigem Aktienrecht ist die GV in physischer Anwesenheit der Aktionäre (Präsenz-GV) die einzige zulässige Form der GV. Eine sogenannte Covid-19-GV wird nach aktuellem Stand nur noch bis Ende 2023 abgehalten werden dürfen. Das neue Aktienrecht sieht vier Formen der GV vor:
Treten technische Probleme auf, die eine ordnungsgemässe Weiterführung der GV verhindern, muss die GV wiederholt bzw. nach Behebung der Probleme fortgesetzt werden; bereits gefasste Beschlüsse bleiben gültig (Art. 701f nOR). Die Anforderungen an ein GV-Protokoll werden detaillierter geregelt als bisher (Art. 702 Abs. 2 und 3 nOR). Aktionäre können verlangen, dass ihnen das Protokoll innert 30 Tagen nach der GV zugänglich gemacht wird (Art. 702 Abs. 5 nOR).
Der Verwaltungsrat hat neu bereits bei drohender Illiquidität Massnahmen zur Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit zu treffen und wenn notwendig zusätzliche Schritte zur Sanierung einzuleiten oder solche der Generalversammlung zu beantragen, falls sie in deren Zuständigkeit fallen. Bei hälftigem Kapitalverlust sind weiterhin Sanierungsmassnahmen zu ergreifen. Im Falle der begründeten Besorgnis einer Überschuldung besteht neu grössere Rechtsicherheit:
> Wenn die Prämisse der Fortführung der Unternehmenstätigkeit nicht mehr besteht, genügt ein Zwischenabschluss zu Veräusserungswerten. Besteht hingegen die Prämisse der Fortführung und zeigt der entsprechende Zwischenabschluss keine Überschuldung, kann auf den Zwischenabschluss zu Veräusserungswerten verzichtet werden.
> Rangrücktritte, welche den Verwaltungsrat ermächtigen, von der Benachrichtigung des Richters abzusehen, müssen nun auch die Zinsforderungen während der Überschuldung umfassen.
> Auf die Benachrichtigung des Gerichts kann neu explizit verzichtet werden, solange begründete Aussicht besteht, dass die Überschuldung spätestens 90 Tage nach Vorliegen der geprüften Zwischenabschlüsse behoben werden kann und die Gläubigerforderungen dadurch nicht gefährdet werden.
Aller Voraussicht nach wird der Grossteil des neuen Aktienrechtes
am 1. Januar 2023 in Kraft treten.