«Böse müssen die Menschen gar nicht sein, es genügt, dass sie kein Rückgrat haben»
James Baldwin, «The Fire Next Time»
«Du hast kein Rückgrat!» – So etwas möchte niemand über sich hören. Anatomisch ist das natürlich Unsinn. Jeder Mensch hat eine Wirbelsäule und ein Rückgrat. Sonst könnten wir nicht aufrecht stehen oder gehen. Doch genau darin steckt die symbolische Bedeutung des Begriffs: Wer Rückgrat hat, beweist Haltung. So jemand bleibt standhaft, aufrecht und aufrichtig. So jemand knickt eben nicht beim kleinsten Widerstand oder Widerspruch ein. Diesen Menschen stimmen wir vielleicht nicht immer zu – zollen ihnen aber mindestens Respekt.
Stil haben, das möchten viele. Namentlich Jugendliche und junge Erwachsene eifern Influencerinnen und Influencern nach, die stilprägend sind. Sie tun dies um den Preis ihres eigenen Stils. Auch Stil ist Ausdruck von Haltung. Haltung gründet in einer verbindlichen Werthaltung und einer gesunden Selbstsicherheit. Stil meint dann, dass jemand etwas in einer Art tut, die Selbstsicherheit, Gradlinigkeit und Anstand ausdrückt.
«Charakter ist das, was vom Menschen übrigbleibt, wenn es unbequem wird». Sprüche wie dieser zeigen, dass es wichtig ist, Rückgrat zu haben und zu zeigen. Nicht nur, weil sich solche Menschen die eigene Selbstachtung erhalten und sich den Respekt der anderen verdienen. Nur wer Rückgrat hat, kann letztlich eigene Ziele umsetzen und auch durchsetzen. Dinge, Werte und Bedürfnisse, die uns selbst wichtig sind und die deshalb einen klaren Standpunkt verdienen. Dahinter steckt die Fähigkeit, auch mal Nein sagen zu können, Widerstände zu überwinden, Selbstbehauptung zu dokumentieren. Aus Sicht von Psychologen zählen diese Charakterzüge zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren überhaupt – mehr noch als Intelligenz.
Rückgrat zu beweisen, soll nicht heissen, dass Sie ungefiltert (und womöglich beleidigend) Ihre Meinung hinausposaunen und auch dann noch daran festhalten, wenn gute Argumente längst dagegensprechen. Das ist Starrsinn oder gar Dummheit und keine Haltung. Zumal es immer wieder Situationen gibt, in denen diplomatisches Geschick mehr gefragt ist als dokumentierte Stärke.
Wer taktvoll auftritt, vermeidet es, andere zu beschämen oder ihre Würde zu verletzen. Schon nur deshalb sind die meisten sozialen Medien stillos. Instagram und Co. sind zu Medien der Beschämung und Verantwortungslosigkeit geworden. In ihnen werden zunehmend Menschen blossgestellt, beschuldigt, nicht ernst genommen und vorverurteilt. Das ist schlechter Kommunikationsstil, überhaupt schlechter Stil – und lässt sich vermeiden, was aber eben eines verlangt: eine verlässliche Haltung. Wer Stil hat, verletzt nicht!
Und so wünschen wir Ihnen eine verletzungsfreie Lektüre unserer jährlichen Zeitschrift und hoffen, Sie mit unserem Stil zu überzeugen, auch wenn unsere Wirbelsäulen durch das viele Sitzen stark belastet bleiben.